Selbständigkeit beim Lernen fördern

Kinder zu selbständigem Lernen anleiten...

Haben Sie sich als Erwachsene schon einmal überlegt, dass es für Kinder womöglich einige gute Gründe gibt, beim Lernen ein bisschen unselbständig zu sein? Versprechen sich die Kinder allenfalls sogar Vorteile davon? Ja, in der Tat… Werfen wir doch mal einen Blick auf die vier guten Gründe für Unselbständigkeit und was wir tun können, um die Kinder in diesen Punkten zu unterstützen:


Unsicherheit

Gerade vorsichtige und eher ängstliche Kinder brauchen ganz viel Bestätigung, um ihre Unsicherheit zu reduzieren. Das unsichere Kind fragt bereits nach wenigen Minuten, ob seine Rechen- oder Deutschaufgaben in Ordnung sind und braucht unsere Bestätigung und Ermutigung zum Weiterarbeiten. Was können wir tun, um das Kind zu selbständigerem Arbeiten zu bewegen?

Nehmen wir uns doch zu Beginn die Zeit, Fragen zu klären und den Lernstoff mit dem Kind gemeinsam zu sortieren, und zwar von den leichteren bis hin zu den schwierigeren Themen/Aufgaben. Nun stellen wir den Wecker/Timer und sagen dem Kind, dass es die Zeit, während der es selbständig arbeitet, später als gemeinsame Spielzeit/Elternzeit gibt. Des weiteren ist das Kinderzimmer als Lernort bei unsicheren Kindern in der Regel ungünstig: Arbeitet das Kind alleine am womöglich perfekt eingerichteten Pult im Kinderzimmer und eventuell noch bei geschlossener Tür, fühlt es sich isoliert und demzufolge noch unsicherer. Lassen Sie das Kind am Küchentisch oder einfach im selben Raum wo Sie sich aufhalten arbeiten – oft hilft diese Massnahme bereits, um seine Unsicherheit merklich zu reduzieren. Eventuell finden Sie eine Variante, wie Sie und Ihr Kind nebeneinander arbeiten können: Sie beantworten beispielsweise Ihre Mails, während das Kind seine Schulsachen erledigt. Bedingung ist, dass das Kind Sie nicht stören darf. Dies erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl und reduziert die Unsicherheit zusätzlich.

 

Ueberforderung

Ein deutliches Zeichen von Ueberforderung ist, wenn Ihr Kind bei den leichteren Aufgaben recht selbständig arbeitet, bei schwierigeren Aufgaben jedoch rasch an seine Grenzen kommt. Wenn Ihr Kind wirklich Mühe in der Schule hat und vor allem in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und Französisch Lücken bestehen, so rate ich Ihnen, mit der Lehrperson Ihres Kindes Kontakt aufzunehmen. Erkundigen Sie sich, welche zusätzlichen Uebungen/Massnahmen Ihr Kind braucht, um die Lücken aufzuarbeiten. Sind die Lücken oder die Unsicherheit zu gross, ist es auch empfehlenswert, mit einem Lerncoach zusammenzuarbeiten.

 

Bequemlichkeit

«Die Mama hilft mir dann schon und sagt mir die richtige Antwort…» - klingt bequem, nicht wahr? Bei dieser Einstellung gilt es, seine Hilfe ein bisschen unbequemer zu machen, im Sinne von «Hilfe zur Selbsthilfe». Kommt das Kind mit einem schwierigen Text zu Ihnen, wovon es den Inhalt nicht ganz erfassen kann, geschieht oft Folgendes: Wir als Eltern lesen den Text selbst durch und geben den Inhalt in unseren eigenen, vereinfachten Worten dem Kind wider. Stattdessen könnte man dem Kind die Fragen zurückstellen: «Was hast Du denn bisher verstanden? Guck doch mal dieses Wort nach, wenn Du es nicht verstehst. Oder sieh Dir mal diese Grafik an – was sagt sie aus?» Und wenn ein Text wirklich schwierig ist, dürfen wir das Kind ruhig auffordern, diesen mehrmals und in kleineren Portionen zu lesen. Uns Erwachsenen geht es womöglich auch nicht anders, wenn wir einen komplexen Text mit Fachausdrücken lesen und verstehen müssen.

Der Lerneffekt ist frappant: Das Kind lernt so schrittweise, bei schwierigem Inhalt Strategien (sprich Eigenverantwortung) aufzubauen, wie damit umzugehen ist. Aber Vorsicht: Zu Beginn müssen Sie sich auf Widerstand gefasst machen, da die andere Variante natürlich viel bequemer ist! Längerfristig führt es beim Kind jedoch zu viel mehr Selbständigkeit, was sich dann vor allem in der Oberstufe enorm positiv auswirkt.

 

Aufmerksamkeit

Es gibt Kinder, die nicht aus Unsicherheit fragen ob die gelöste Aufgabe richtig ist, sondern weil sie einfach die Aufmerksamkeit der Eltern wünschen. Daran ist grundsätzlich nichts verkehrt, aber wenn das Nachfragen im Minutentakt erfolgt, dann sollte man schon versuchen, das Kind zu mehr Selbständigkeit anzuleiten. Benennen Sie ganz klar, was Sie sich wünschen. Wechseln Sie von allgemeinem Lob auf gezieltes Lob und loben Sie gezielt die Phasen, während denen Ihr Kind selbständig arbeitet. Laut einer Elternstudie von Fabian Grolimund und seinem Team hat das gezielte Lob den grössten Einfluss auf eine Verhaltensänderung von Kindern. Ich habe das gezielte Lob mit zahlreichen Kindern ausprobiert und kann die Wirkung davon nur bestätigen. Einige Beispiele:

 


Abschliessend möchte ich zum Thema Selbständigkeit anmerken, dass sich diese in kleinen Schritten entwickelt und wir nicht über Nacht ein «Wunder» erwarten dürfen. Speziell Kinder mit ADHS-Symptomen benötigen lange Unterstützung und Anleitung, um selbständiger zu werden. Wichtig ist, immer dranzubleiben, den Mut nicht zu verlieren und Schritt für Schritt zu gehen.

Und: Eine Studie zu Nachhilfe konnte zeigen dass Kinder, welche über längere Zeit hinweg Nachhilfeunterricht besuchen, weitaus schlechtere Lernstrategien entwickeln und sich unselbständiger verhalten. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn ich als Kind weiss, dass mir der Schulstoff im Nachhilfeunterricht nochmals erklärt und mir geholfen wird, so muss ich mich ja nicht sonderlich bemühen, selbständig zu werden.